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28.10.2014 — Ulm-Biberach
Bei normalem Verkehr benötigt man auf der B30, einer als Bundesstraße getarnten Autobahn, etwa eine halbe Stunde für die gut 40 Kilometer von Ulm nach Biberach. Dies ist aber erst so, seit sich der Verkehr nicht mehr wie eine träge Schlange durch Laupheim, Baltringen und Warthausen pressen muss, sondern zügig an diesen Nadelöhren vorbeigeleitet wird.
Ein autochthoner, geschichtlich interessierter Kollege berichtete mir stolz, dass sich die Urahnin dieser Magistrale schon vor gut 6.000 Jahren durchs Ländle schlängelte. Natürlich formulierte er diese Zeitangabe nicht mit „4.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung”, wie ich es auf meiner heute so verpönten POS gelernt hatte, sondern mit „4.000 Jahre vor Christus”. Schwäbisch. Anständig. In jeder Situation brav dem lieben Herrgott dankend, auch wenn es gerade nicht gefragt war.
Witze konnte ich mir noch nie merken. Der folgende ist eine Ausnahme, vielleicht weil er bei näherer Betrachtung gar kein Witz, sondern eine Charakterisierung des Menschenschlages meiner Wahlheimat ist: „In Ulm kommt eine gut gekleidete Dame in eine Buchhandlung und möchte „Goethes gesammelte Werke” als Geschenk für ihren Göttergatten kaufen. “Welche Ausgabe?” fragt der Verkäufer. Die Frau stutzt, überlegt einen Moment und meint dann “Da haben Sie eigentlich recht!” verlässt den Laden und sagt sich – Schon wieder Geld gespart.”
Derartige Gedankenschleifen lenkten mich vom Ziel meiner Fahrt ab. Zusammen mit der eingeredeten Freude, nach Wochen endlich wieder das sich als Understatement aufdrängende Säuseln meines Outback H6 3.0 zu hören und dessen unbändige Kraft zu spüren. Nächste Kurve — in Reihe aufgestellt der Hellmaster, der Advokat, der Computernerd und am besten auch noch der vierte Teufel, von dem ich kaum mehr wusste, als dass er existierte. Aber das wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein … Auf halber Strecke zogen die Solaranlagen von Laupheim an mir vorbei — keine 15 Minuten mehr bis Biberach.
Gestern Abend wusste Mandy letztendlich alles. Ihre Fassungslosigkeit schien noch größer zu sein als meine Verzweiflung. Stumm ging sie ins Wohnzimmer zurück, als ich ihr den Öffnungsmechanismus der Wohnungstür vorführte, und beschämt wandte Sie den Blick ab, als ich meine allabendliche Ladung vornehmen musste. Das war für mich der schlimmste Augenblick. Aber in diesen Stunden wuchs Ihre Wut auf die Teufel weiter und sie schwor mir, zu helfen wo und wie sie nur konnte.
Mandy blieb vor dem Fernseher auf der Wohnzimmercouch, während ich in meinem Bett wieder einmal in einen unruhigen Schlaf fiel, der am Morgen abrupt vom Sadistenhandy beendet wurde. Als ich das Gerät zur Seite legte, stand Mandy in der Tür und umarmte mich lange schweigend. Dann flüsterte Sie mir in s Ohr: „Wir schaffen das, ich helfe Dir!” Denn beim Du waren wir am vergangenen Abend angelangt. Obwohl ich es versuchte, war es mir unmöglich, gegen die ansteigenden Tränen anzukämpfen. Tränen der Rührung, der Wut, des Hasses, der Verzweiflung. Die jeweiligen Anteile wechselten sekündlich.
Nach Dusche und erzwungener Verwandlung in eine elegant gekleidete, aufdringlich riechende Prostituierte umarmten wir uns zum Abschied noch einmal im Flur. Ohne dass es eines Wortes bedurft hätte, griff Mandy die Tür und zog sie auf, nachdem ich sie mit meiner Muschi geöffnet hatte. Wie mir in diesem Augenblick bewusst wurde, war es das erste Mal, dass ich den verfluchten Stab langsam aus mir gleiten lassen und meine Kleidung richten konnte, anstatt mit schmatzendem Spalt und auf der Hüfte hängendem Rock zur surrenden Tür zu hasten. Die Erleichterung hierüber war unglaublich. Mit Genugtuung ging mir auf, dass diese Tiere nicht damit gerechnet hatten, dass ich den Mut finden würde, mir Hilfe zu holen. Und das wäre ja auch beinahe nicht passiert …
28.10.2014 — Biberach
Beruflich hatte ich gelegentlich in der Verwaltung des Nachbarlandkreises zu tun. Es kam mir wie ein Segen vor, dass das Bildungsamt am anderen Ende der Liegenschaft lag. Das in einem separaten Gebäude untergebrachte Gesundheitsamt hatte ich bislang nie bewusst wahrgenommen — warum auch.
Langsam, einen Parkplatz suchend, patrouillierte ich über den Hof und fand tatsächlich eine Lücke direkt vor dem Gesundheitsamt. Ich hatte den Motor noch nicht abgestellt, als mir Schweiß auf die Stirn trat. Unmöglich konnte ich hier aussteigen, in diesem Outfit. Ich malte mir aus, wie mich zahllose Beamtenaugen auf meinem Weg vom Wagen zum Amt verfolgen würden. Und sicherlich bekamen diese Schreibtischtäter anhand des Kennzeichens ohne größere Probleme heraus, wem der teure Wagen gehörte, dem eine nuttig gekleidete Lady entstieg, die am Dienstagvormittag im Gesundheitsamt zu tun hatte …
Ich gab also Gas, verließ das Gelände und parkte auf dem riesigen, derzeit aber fast leeren Parkplatz des Stadions. Zwar war dieser entlegene Standplatz mit einem Fußmarsch von einem halben Kilometer entlang einer stark befahrenen Straße verbunden. Und natürlich hupten auch drei Autos, als sie mich überholten. Aber escort çatalca die Wahrscheinlichkeit, von jemandem gesehen zu werden, der mich kannte oder meine Identität ermitteln könnte, reduzierte sich erheblich.
Als ich auf das Gebäude zuging, verlangsamte sich mein Schritt wie von selbst. Dort stand in einer lieblos als „Raucherecke” beschilderten Nische eine Gruppe, die ich intuitiv in Teilpopulationen separierte– Raucher und solche, die dort standen, weil sie auf etwas warteten. Ich ahnte auf was. Vermutlich waren diese Dienstag-Sprechstunden bekannt und somit das Licht für so manche Büromotte.
Geräuschlos konnte ich mich wegen des elenden Schuhwerks nicht bewegen und so registrierte mich die Gruppe früh. In einer dominohaften Bewegung drehten sich die Köpfe und niemand machte sich die Mühe, das gaffende Interesse auch nur ansatzweise zu verbergen. Die Gesichter, in die ich blickte, zeigten viel — ich hätte sie liebend gern für meinen Vorlesungsteil verwendet, der den Studenten die Grundlagen nonverbaler Kommunikation nahebringen sollte.
Da waren die, die vermutlich täglich mehrfach an dieser Stelle ihre Lungen vergifteten und die auch jetzt nur deshalb hier waren. Dann gab es die Raucher, deren Laster zumindest in diesem Augenblick in den Hintergrund trat. Und dann die Schlimmsten. Diejenigen, denen es sichtbar Unbehagen bereitete, sich mit stinkendem Qualm vollnebeln zu lassen, die aber einen ausreichend guten Grund hatten, sich hier einzufinden. Letztere waren es auch, die sich mit den Ellbogen anstießen und auf mich deuteten. „Sie mal, wieder eine”. Eine andere Stimme: „Hab ich hier noch nie gesehen, scheint neu zu sein.” Von einem anderen hörte ich nur leise den Wortfetzen „fotografieren”, welcher meine Schritte augenblicklich wieder beschleunigte. Mit der Energie eines Duracell-Häschens stöckelte ich an den Gaffern vorbei.
Es gab lediglich eine Frau in der Gruppe. Ihr Kleid hätte für eine Verwaltungsangestellte nicht kürzer ausfallen dürfen. Ein kurzer Blick auf sie ließ mich vermuten, dass sich ihre Rocklänge umgekehrt proportional zu ihrem Alter entwickelte. Ein neben ihr stehender bierbäuchiger Nichtraucher raunte ihr vernehmlich zu „Da kannste noch was lernen Marie!”, was mir einen roten Kopf und einen abfällig wütenden Blick der Angesprochenen einbrachte.
Die Glastüren glitten leise zischend auf und eröffneten mir den Weg in ein kleines Foyer. An der Wand prangte eine große Hinweistafel. Es schoss mir wie ein Pfeil ins Herz — offenbar war ich auf der Stufe angekommen, die mir meine Peiniger zugedacht hatten. Laut Wegweiser befand sich das Sachgebiet „Sexuelle Gesundheitsberatung und Registrierung P” auf demselben Flur wie der Bereich „Veterinärwesen”. Gewollt? Nervenkrieg?
Meine Absätze hallten peinlich durch das lichtdurchflutete Treppenhaus, der Weg in die vierte Etage beanspruchte mich wie ein 180-km-Radrennen. Aber ich war nicht die einzige, die die Ruhe der Verwaltungsburg störte. Über mir klackerte ein weiteres Paar Heels, nur in einem schnelleren Takt.
Dass ich auf dem Flur nicht allein war, machte es für mich nicht besser. In der Mitte des Ganges waren an einer Seitenwand acht Besucherstühle fest am Boden fixiert. Auf Ihnen saßen die unendlich traurigen Konsequenzen einer männergemachten Perversion unserer Gesellschaft, zu der ich nach meinem Schlüsselerlebnis in Bernau in all den Jahren jeglichen Kontakt konsequent vermieden hatte.
Zwei russische Mädchen, die gerade die Volljährigkeit erreicht haben dürften, unterhielten sich in aufgebrachter Tonlage über einen Kunden. Im tiefsten Baden-Württemberg erwarteten Sie sicherlich nicht, dass jemand ihre Muttersprache verstehen würde. Sie rechneten nicht damit, auf eine in Rheinsberg geborene Nina zu treffen, die das Fach Russisch nach siebenjährigem Unterricht mit einer 1 auf dem Abiturzeugnis abgeschlossen hatte. Ich hätte mich nicht so ausdrücken vermocht wie sie, verstand aber fast alles. Ich vermutete, dass die beiden in der protzigen Mercedes-S-Klasse gebracht wurden, die jetzt genau in der Lücke stand, die ich vor etwa 20 Minuten wieder geräumt hatte. Verglichen mit dem Bullen, der in diesem Schiff saß, welches vermutlich die Mädchen nachtnächtlich mit Ihren Körpern und Seelen bezahlten, waren meine vier Peiniger zumindest äußerlich angenehme kleine Engelchen. Die Mädchen sahen aus, als wären sie direkt nach ihrer Schicht von der Straße geholt worden und trugen noch „Arbeitskleidung”.
Direkt neben Ihnen blickte eine sich vermutlich bereits weit jenseits der 60 befindende Frau starr auf die weiße Wand gegenüber. Sie trug Jeans, einen unauffälligen, nicht mehr ganz neuen Wintermantel und warme Stiefel. Hätte sie nicht jetzt hier gesessen, hätte allein ihr sichtbar zu schwarz gefärbtes Haar, die abgelebten Gesichtszüge und ihr phlegmatischer Blick mich zu nochmaligem Hinsehen verleitet. Was hatte diese Frau erleben müssen, was blieb ihr in all den Jahren vorenthalten, dass sie hier auf diesem Flur saß?
Die Rentnerin schaute escort silivri böse den kleinen Jungen an, der neben ihr in einem Bilderbuch blätterte und sie dabei versehentlich angestoßen hatte. Seine neben ihm sitzende Mutter, ein rothaariges zierliches Geschöpf von etwa 30 Jahren, entschuldigte sich errötend bei ihrer älteren Berufskollegin. Die in einen selbstgestrickten Pullover und einen langen grauen Wollrock gekleidete Frau und ich mussten nur einen Blick austauschen, um zu wissen, was uns verband. Die abgrundtiefe Scham hier zu sein, auch wenn Ihre Motivation vermutlich rein finanziellen Natur war und darin begründet lag, ihrem Sohn ein normales Leben zu ermöglichen. Das neben ihr stehende große gelabelte Beautycase und die sportlich kurze, aufwendig hergerichtete Kurzhaarfrisur wiesen sie ohne große Zweifel als Friseuse aus.
Zwei Plätze weiter saß eine attraktive, gepflegte und teuer gekleidete Mittzwanzigerin, die konzentriert auf einem teuren Ultrabook herumtippte und in kurzen Abständen ein „Verdammt!” oder ein „Mist!” oder ein „Endlich!” von sich gab. Sie kämpfte mit irgendwelchen komplizierten Diagrammen und mathematischen Gleichungen. Ihr Anblick weckte zwei furchtbare Assoziationen in mir. Die erste verband diese junge, offenbar ehrgeizige Frau mit Anja. Der gleiche Typ, ein ähnlicher Kleidungsstil, vermutlich überdurchschnittliche Begabung verbunden mit großem Ehrgeiz und schließlich die „Nebentätigkeit”.
Dieser erste, in die Vergangenheit weisende Gedanke wurde jedoch durch einen zweiten erschreckend aktuellen in den Hintergrund geschoben: Ich war mir zwar nicht sicher, glaubte aber, die junge Frau schon auf dem Campus der Ulmer Universität gesehen zu haben….
In dem Augenblick, in dem der große Zeiger der mitten im Flur hängenden Uhr auf die 12 sprang öffnete sich am Gangende eine Tür. Die sitzenden Frauen richteten ihren Blick auf einen kaum 1,60 kurzen Südlander, dessen Arztkittel fast bis auf den Boden reichte. Nachdem sein Blick teilnahmslos über die Stuhlreihe geglitten war, blieb er an mir haften. Auf sein beiläufiges Heranwinken drehte ich mich erst um, prüfen, ob tatsächlich ich gemeint war und setzte mich dann langsam in Bewegung.
Dr. Sam Malik Mehmet Shahrukh Chameni war das Musterbeispiel eines in Deutschland integrierten Mannes mit Migrationshintergrund. Er selbst lächelte über dieses Ungetüm von Wort, wie er oft über das Volk lächelte, das seine Familie und ihn vor fast 20 Jahren warmherzig aufgenommen hatte.
Er war den Deutschen dankbar für die Zuflucht, die sie seinem Vater gewährten, der es in Tabrizi, der Hauptstadt der nordwestlichsten iranischen Provinz zu großer Anerkennung als Herzchirurg gebracht hatte. Während viele seiner Berufskollegen die Hauptstadt Teheran als einträglichen und vor allem sicheren Wirkungsort bevorzugten, praktizierte Dr. Achman Mustafa Chameni erfolgreich im brodelnden Schmelztiegel der vom Irak, der Türkei, Armenien, Aserbeidschan und Turkmenistan umschlossenen iranischen Provinz. Und dennoch – als eines Tages die Hälfte des heimatlichen Stadtviertels brannte, floh die Familie nach Deutschland und erhielt innerhalb kürzester Zeit die Aufenthaltserlaubnis. Sam war heute sogar Besitzer zweier Staatsbürgerschaften, nur auf eine war er jedoch stolz.
Es gab nie einen Zweifel daran, dass der Sohn in die Fußstapfen seines Vaters treten und Medizin studieren würde. Die Diskussionen begannen erst, als es um die Wahl der Spezialisierungsrichtung ging. Während Achman Sam gern als Nachfolger seiner gut laufenden Praxis in Berlin Charlottenburg gesehen hätte, war dieser lange unentschlossen. Er wusste, was er nicht wollte — sich ins gemachte Nest setzen. Viel weniger konkret war hingegen, was er wollte. Sicher war er sich zunächst, dass er wie sein Vater Ansehen genießen und sich nie über Geld Gedanken machen wollte. Weiterhin sollte seine Arbeit angenehmer als die eines Proktologen, aufregender als die eines Internisten und weniger bedrückend als die eines Onkologen werden. Letztendlich war es ein Zufall, der ihn dorthin brachte, wo er heute war — Dr. Chameni jun. Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit der Spezialisierungsrichtung Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin.
Als er sich nach dem 1. Staatsexamen an der Universitätsklinik Hamburg durch alle Stationen des Hauses kämpfte, begann eines Tages sein obligatorischer Einsatz in der Gynäkologie. Diese interessierte ihn nicht mehr und nicht weniger als die anderen Bereiche, die er bereits zuvor durchlaufen hatte. Der Stationsalltag war von Schwangeren, Entbundenen und Patientinnen mit Altfrauenproblemen geprägt. Eben die typische ärztliche Tätigkeit — „zu Nutz und Frommen der Kranken”.
Dann aber kam der Tag, der alles änderte und sein berufliches Streben auf ein klar umrissenes Berufsfeld fokussierte. Auf eine Tätigkeit, die kaum seinen früheren Hauptzielen — Geld und Ansehen — entsprach, ihm aber gab, was ansonsten für einen Sterblichen nur schwer erreichbar war. Die escort büyükçekmece Stationsärztin, ein durchsetzungsstarker Dragoner kurz vor dem Ruhestand, hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Ihre Zöglinge auch in die Niederungen der fachärztlichen Tätigkeiten blicken zu lassen — sei es um Ihnen zu demonstrieren, welch heile, abgeschlossene Welt ein Universitätsklinikum war, sei es, um einfach ihren Horizont zu erweitern.
Und so saß er eines Tages in all seiner medizinischen Unerfahrenheit im Gesundheitsamt des Bezirkes Hamburg Mitte, das auch für die medizinische Betreuung der auf St. Pauli arbeitenden Prostituierten zuständig war.
Und da kam das, was er sich sonst verstohlen in Schmuddelheftchen ansehen musste, weil er sich nicht traute, derartiges von seiner ach so gebildeten, anständigen und in gehobenen Kreisen verkehrenden Freundin zu verlangen. Da kam nicht das medizinische Tagesgeschäft, da kam eine überaus interessante Selektion verschiedenster Frauen mit meist zumindest akzeptablem Aussehen und Alter. Das Beste war das Abhängigkeitsverhältnis, in dem die Patientinnen zu diesem speziellen Vertreter der Exekutive standen. Alle mussten für ihn die Beine öffnen und sich ihre Brüste begrabschen lassen — er musst es nur verlangen. Natürlich kollidierte eine derartige Motivation auf schärfste mit dem Hippokratischen Eid — allein es kümmerte ihn wenig.
Seit diesem Tag hatte sein Leben einen Sinn. Natürlich ließ er sein Umfeld nicht ahnen, was mit ihm geschehen war und wohin er strebte. Aber es hatte für alle den Anschein, als hätte er einen unsichtbaren Raketenantrieb zugeschaltet. Er holte innerhalb kürzester Zeit seine Studienrückstände auf, beendete sein Studium als erster seines Matrikels und promovierte mit summa cum laude, was seinen Vater unglaublich stolz machte. Dass er diese Basis nicht für eine medizinische Karriere nutze und stattdessen in die schwäbische Provinz ging, um dort, mitleidserregend schlecht bezahlt, einen Verwaltungsjob anzunehmen, verstand niemand.
Sein Vorgänger in Biberach, ein noch heute unter den Kollegen überaus beliebter und gutmütiger Mann mit Großvatergesicht, beendete nach einem schweren Herzinfarkt einige Jahre früher als geplant seine Tätigkeit im kreislichen Gesundheitsamt. Wie er Sam mehrfach im Vertrauen versicherte, hatten ihm die menschlichen Schicksale, mit denen er tagtäglich konfrontiert war, schwer zugesetzt.
Diese menschlichen Schicksale beschäftigten auch Sam, allerdings aus einer gänzlich anderen Perspektive. In den ersten Wochen und Monaten übte er sich in Vorsicht und Zurückhaltung. Er war freundlich zu seinen Patientinnen, hilfsbereit im Kollegenkreis und galt bald als „Vorzeigeausländer”. Der Ausdruck wurde natürlich offiziell nicht mehr in den Mund genommen aber gemeint und gelebt.
Bald kannte er die Akten seiner Patientinnen auswendig. Was diese nicht hergaben, ergänzte er durch eigene Recherchen. Auf seinem privaten Laptop führte er eine umfangreiche Datenbank, die neben den oft spärlichen „amtsbekannten” Informationen eine Fülle ergänzender Details enthielt.
Sam wusste von den meisten Frauen, welche Motivation sie zu dieser gesellschaftlich wenig anerkannten Tätigkeit brachte. Das Spektrum war dabei selbst für ihn überraschend breit. Es reichte von den Studentinnen, die sich pragmatisch ihr Studium finanzierten und wussten, dass dies eine lästige Notwendigkeit war, die spätestens mit Studienabschluss ein Ende finden würde. Nicht wenige Frauen arbeiteten einfach regulär als Prostituierte, so wie andere als Krankenschwester, Lehrerin oder Putzfrau ihr Geld verdienten. Dann gab es die armen Dinger, die von stiernackigen Russen oder Albanern hergebracht wurden. So manche biedere deutsche Hausfrau wollte nur ihr Haushaltsgeld aufbessern und Ihr Mann wäre entweder in Ohnmacht gefallen oder ausgerastet, hätte er etwas davon gewusst. Und dann gab es, in Sams Augen, erfreulich viele alleinerziehende Mütter, meist in schlecht bezahlten Jobs, die ihren Kindern etwas bieten wollten und dafür ihre Würde verkauften. Schließlich existierte auch die zahlenmäßig unbedeutende Minderheit, die sich auf der Suche nach sexueller Erfüllung fremden Männern hingab. Letztere hätten sogar noch Geld dafür bezahlt, als das behandelt zu werden, was sie durch ihre eigene Entscheidung waren. Sam kannte sie alle.
Dieses Hintergrundwissen ermöglichte es ihm, seinen Trieben zunehmend freien Lauf zu lassen. Nie hätte er eine selbstbewusste Vollzeithure auch nur schief angesehen. Am Ende wäre die noch zum Landrat gelaufen und hätte sich über ihn beschwert. Viel bessere Opfer waren jene, die über den Hof und in seine Räume schlichen, aufs Äußerste bedacht, nicht aufzufallen oder erkannt zu werden. Die konnte er gut befummeln, für ein Belastungs-EKG ewig nackt aufs Rad setzen und ab und an mal mit Hure oder Schlampe betiteln. Wie es ihn doch erregte, wenn diese Säue dann beschämt erröteten und fragten, ob das wirklich notwendig sei. Es war natürlich immer notwendig!
Sein Leben hätte so bis ans Ende aller Tage weitergehen können. Aber es wurde noch besser, viel besser! Vor gut zwei Jahren klingelte an einem Dienstag gegen 08:45 Uhr sein Dienstapparat. Er ging gerade die Patientenakten durch und war sich noch nicht sicher, ob er heute die dürre Rumänin mit den großen Zähnen oder die Obstverkäuferin aus dem Supermarkt in der Promenadengasse schikanieren sollte.
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